Schon das Passieren des Zolls in die Türkei war ein kleines Abenteuer. Nachdem wir uns durch kilometerlange Lastwagen-Kolonnen schlängelten, wurde beim ersten Kontrollpunkt wie erwartet der Pass verlangt. Beim Zweiten wurde das Auto durchsucht und wir mussten unsere Pässe und die Fahrzeugpapiere vorweisen. Beim Dritten wurden nochmals die Fahrzeugpapiere angeschaut und aus der Zöllnerkabine knallte schliesslich ein Stempel - der Startschuss in unser achtes Land.
Wir fuhren weiter bis Izgar, einem Bauerndorf am Wegrand. Ursprünglich, um Wasser zu kaufen, aber einen Tee und Kaffee später wurde uns ein überdachtes Basketballspielfeld als Schlafplatz angeboten. Dieses war vis-à-vis der Dorfschenke gelegen und so boten wir der versammelten Dorfmännerrunde einigen Diskussionsstoff, als wir das Dachzelt aufschlugen und uns installierten. Frauen ist der Zutritt zu den Gaststuben verwehrt. Wir beobachteten eine, die zwei Stunden im Auto ausharrte, um auf ihren plauschenden Mann zu warten. Wir schliefen friedlich und geborgen, bis am frühen Morgen der Muezzin aus der benachbarten Moschee über die Lautsprecher zum Gebet rief. Aus Kostengründen teilen sich die kleineren Dörfer einen Muezzin, der seine Gebete via Funk über die verschiedenen Ortschaften schallen lässt.
In eine Metropole zu fahren hat so seine Tücken, Istanbul ist da keine Ausnahme. Auf einer vierspurigen Autobahn mitten durch die Hochhäuser der Vorstadt parkierte ein Motorradfahrer und telefonierte, und eine ältere Frau querte bei dichtestem Verkehr seelenruhig die Strassen. Überholt wird von links und rechts und bei einer verpassten Ausfahrt wird der Fehler auf der Stelle rückwärts fahrend korrigiert. Durch Kriechgang-steile Gassen hoch und runter haben wir unser AirBnB mit Parkplatz im Stadtteil Cihangir gefunden – mit Blick auf den Bosporus und die Moscheen auf dem Goldenen Horn.
Dieser Flecken Erde, der auf zwei Kontinentalplatten liegt und Europa mit Asien verbindet, wurde einst von griechischen Siedlern kolonisiert und nach ihrem König in Byzantium benannt. Byzanz wurde dem römischen Reich einverleibt und nach Kaiser Constantin in Konstantinopel umbenannt, der damit das oströmische Reich gründete. Als das alte Rom längst geplündert und ein Dasein in Schutt und Asche fristete, gedieh die Stadt am Bosporus und wurde zu einer der mächtigsten Handelsmetropolen entlang der Seidenstrasse und ein heftig umkämpfter Ort, der schliesslich an die Osmanen fiel und seither Istanbul heisst.
Durch frühere Besuche kennen wir die wichtigsten Sehenswürdigkeiten und nutzten die Chance, auch Quartiere zu besuchen, die es nicht in die gängige Istanbul-Top 10 schaffen. Balat ist so ein Quartier. In engen Strassen schmiegen sich farbige Holzhäuser und solche mit kunstvollen Mosaikfassaden aneinander, die Wäsche trocknet an Leinen, die quer über die Strasse gespannt sind oder wo immer sich Platz und ein Nagel finden. Auch lieb gewonnene Orte besuchen wir nochmals, wie den Ägyptischen und den Grossen Basar. Die beiden Märkte bieten eine Fülle von Eindrücken: die intensiven Gerüche der Gewürze, verlockende türkische Süssigkeiten, Goldschmuck hinter vergitterten Schaufenstern, bunte Stoffe, handgeknüpfte Teppiche - das alles in über 4'500 Geschäften und begleitet vom steten «Hello, have a look». Tanjas Lieblingskonditorei Hafiz Mustafa befindet sich um die Ecke vom Ägyptischen Basar und zaubert die weltbesten Walnuss-Baklava. Wirklich! Allerdings waren die uns besuchenden Freunde nicht gleichauf begeistert von der sirupgetränkten Backware.
Istanbul ist die Stadt der Schönheits-Operationen. Zahlreiche Frauen mit Pflaster auf Nase oder Kinn, Männer mit frisch implantierten Haaren am Vorder- und Verband am Hinterkopf. Istanbuls Chirurgen sind auch bekannt für ihre Kompetenz in der Ophtalmologie, weshalb sich auch Touristen in den hiesigen Kliniken die Augen lasern lassen. Westliche Schönheitsideale scheinen vor allem jungen Mittelschicht-Istanbulern erstrebenswert. In gewissen, offensichtlich religiös geprägten Quartieren sind vermehrt Männer in knöchellangen Gewändern und Frauen im schwarzen Niqab und der Burka anzutreffen.
Dem Essen kommt eine grosse Bedeutung zu: An jeder Ecke findet sich ein Café, eine Teestube, ein Restaurant oder eine Shisha-Bar. Gegessen wird nebst dem traditionellen Kebab Fisch in allen Variationen. Dicht beieinander stehen die Männer mit ihren Angelruten auf der Galatabrücke und versuchen, ihre Beute hochzuziehen, bevor sie ihnen von den kreischenden Seemöwen im Flug weggeschnappt werden. Und überall sind junge Männer mit Tabletts als Tee-Kuriere unterwegs.
Nach fünf Tagen Istanbul zog es uns weiter, über den Bosporus, dem Marmara-Meer entlang. Um die Mautstationen bei Autobahnen und Brücken zu passieren, muss man sich vorgängig registrieren. Eine Website lieferte einige Informationen, sogar in Englisch, aber wesentliche Hinweise fehlen. Die Tourist Information fand heraus, dass wir uns auf jeder grösseren Poststelle registrieren können. Am Eingang wurde uns die Nummer 4594 zugewiesen. Es zeigte sich, dass die erste Ziffer die Art des Geschäfts bezeichnet. So kam es, dass ständig Menschen in die Poststelle strömten, die vor uns bedient wurden, denn 4’000-er Nummern wurden nur selten aufgerufen. Michael verlor nach einer Stunde die Geduld und drängte sich vor. So erhielten wir wenigstens das benötigte Formular und konnten mit freundlicher Unterstützung eines anderen Kunden und einiger zusätzlicher Wartezeit den begehrten Maut-Kleber erstehen. Danach brauchten wir erst einmal einen kühlenden Elma Çay (Apfeltee)…
Auch nach vielen Kilometern im Landesinneren ist die Präsenz Istanbuls noch immer spürbar. Wir fuhren durch ausgedehnte Industriezonen und sehnten uns nach den leeren Strassen Griechenlands. Und weil am 29. Oktober Tag der Republik ist, war von den städtischen Kulissen wenig zu sehen, denn überall hingen riesige Nationalflaggen und Abbilder von Kemal Atatürk, dem Begründer der modernen Republik und geliebter Übervater der Türken.
Wir verbrachten eine Nacht am Ufer des Marmara-Meers, wo uns der Lärm einer nahen Baustelle und vorbei tuckernde Fischkutter wach hielten. Eine weitere Nacht in einem kleinen Dorf namens Gölyaka, wo wir im einzigen Kavha (Café) Runde um Runde zum Tee eingeladen wurden (denn Kaffee wird aus Kostengründen nicht angeboten) und auf dem benachbarten Schulareal übernachteten. Michael durfte am nächsten Morgen Hasan, einen lokalen Fischer, auf den See begleiten, der uns danach freimütig einen Teil seines dürftigen Fangs schenkte.
Es liegen noch rund 3000 Kilometer Türkei vor uns und wir sind gespannt, was sie bereit halten. Laut einem befreundeten, weit gereisten Overlander beginnt mit Asien “das richtige Reisen”.