Plötzlich waren sie da, die mysteriösen Sandsteinformationen, die seit vielen tausend Jahren durch Erosion entstehen. Auf staubigen Strassen erkundeten wir die Gegend zwischen Ürgüp und Mustafapaşa, hielten alle paar hundert Meter staunend an und waren uns bald einig: wir finden einen Platz abseits der Touristenwege. Auf einer Hochebene war die Sicht besonders schön, doch da war noch dieses etwa 15 Meter höhere Plateau, das offensichtlich von Jeeps und Quads befahren wurde. Nun, aus irgendeinem Grund haben wir ein geländegängiges Fahrzeug. Michael wagte sich hoch und wir wurden mit einer 360˚ Panoramasicht belohnt.
Unter uns, vor einem der Sandsteintürme mit Höhlenwohnung, parkte ein Fahrzeug und ein Mann schien uns zu beobachten. Wir vermuteten andere Overlander und winkten. Der Mann winkte zurück und machte sich auf den Weg hoch zu uns. Es war Murat, den wir willkommen hiessen und ihm einen Kaffee anboten. Schmunzelnd stellte er sich als Besitzer des Grundstücks vor. Er erlaubte uns, die Nacht hier zu verbringen. Seine Gegeneinladung zum Tee schlugen wir höflich aus, da wir den besonderen Standort und den Sonnenuntergang auskosten wollten.
Wir staunten nicht schlecht, als wir schlaftrunken aus dem Bus guckten und bereits die ersten Heissuftballons am dämmrigen Himmel schwebten. Wir beobachteten das Spektakel, voller Vorfreude auf unseren bevorstehenden Flug.
Doch erstmal waren unsere Bedürfnisse einfacher: nach sechs Camper-Tagen sehnten wir uns nach einer Dusche. Das Gedik Cave Hotel liegt am Rand von Göreme, dem Place to be in Kappadokien. Unser Zimmer ist in den Fels gegraben, schummrig beleuchtet von einigen orientalischen Lampen. Die einzige natürliche Lichtquelle stammt von einem Fenster in der Türe. Von der Terrasse aus sieht man auf das Dorf mit seinen Hotels, Balkonen und Aussichtsterrassen, auf ein schlankes Minarett und auf die wuchtigen Sandsteingebilde, die die ganze Szene einrahmen. Sie haben die Form von Spargel und erotischem Spielzeug und werden liebevoll Feenkamine genannt. Das Dorf bildet die Kulisse für die rund hundert Heissluftballons, die jeden Morgen den Himmel schmücken.
Tanja bekam von ihrer Abschlussklasse Reisegeld geschenkt, das wir für eine vierstündige Quad-Tour verwendeten. Diese führte uns durch das Schwert-, das Rosen-, das Rote und das Liebes-Tal. Wir erklommen auf schmalen Graten das Çavuşin Schloss und ein ehemaliges Frauenkloster – beide in den Tuff-Fels gehauen. Zwischen den Sehenswürdigkeiten bretterten wir grinsend über holprige Pisten und frassen ordentlich Staub. Am Sunset Point trafen sich alle Quad-Gruppen, insgesamt wohl hundert Menschen auf rund 60 Fahrzeugen. Ein kollektives Selfie-Spektakel.
Dann kam der Tag unserer Ballonfahrt. Um Viertel vor sechs wurden wir abgeholt und zum Startpunkt gebracht. Wir kletterten zusammen mit 14 anderen in den 20 Passagiere fassenden Korb und hatten Glück, eine Aussenecke belegen zu können, die uns die Sicht auf zwei Seiten sicherstellte. Um uns herum füllten sich die riesigen Hüllen. Von Gasflammen erleuchtet, zeichneten sie sich beim Aufstieg deutlich gegen den noch dunklen Himmel ab. Fast unbemerkt verliessen wir den Boden und mit jedem Meter wurde die Sicht grandioser. Hakan, unser Pilot, war ein absoluter Glückstreffer. Er vereinte die richtige Mischung aus Witz, Geschichten erzählen und vollendeter Ballonflugkunst. Im Liebes-Tal fuhren wir zwischen zwei Feenkaminen durch, wobei der Abstand zu den Felstürmen kaum einen Meter mass. Heissluftballone können nicht in der Richtung gesteuert werden, nur die Höhe und die Rotation kann der Pilot beeinflussen. Und Hakan weiss wie!
Die restlichen Tage wanderten wir durch die verschiedenen Täler und duckten uns durch die niedrigen Öffnungen der Höhlenkirchen und -wohnungen. Die frühen Christengemeinden hatten sich hier in Kappadokien vor den Römern versteckt. In Felskaminen und unterirdischen Städten, die bis 14 Etagen tief in den Boden führen, harrten sie über die Sommermonate mitsamt ihrem Vieh aus. Um den Besatzern die Lebensgrundlage zu entziehen, brannten sie die wenigen Kornfelder ab. Im Winter war es den Römern zu kalt, und die Verstecke konnten verlassen werden. Die Nahrungsvorräte stockten sie durch den Verkauf von Wein wieder auf. Der Rebbau hat hier eine entsprechend lange Tradition und wir können bezeugen, dass der lokale Rotwein durchaus lecker ist.
Vor allem im Pigeon Valley sind unzählige Taubenlöcher in den Stein gehauen. Die Vögel wurden früher gezüchtet, um den Dung als Nährstoff für die kargen Böden zu nutzen. So konnten auf dem Lavaboden Aprikosen, Nüsse und Reben angebaut werden.
Fünf wundervolle Tage durften wir dank dem grosszügigen Abschiedsgeschenk von Tanjas ehemaligen Arbeitskollegen in dieser faszinierenden Gegend verbringen. Jetzt fahren wir nordostwärts zum Schwarzen Meer und Richtung Georgien.