Von der Gastfreundschaft und von Rakija, Brot und Käse

Radovan, ein Senn, der hier im Sutjeska Nationalpark seine sechs Kühe sömmert, sprach uns an, als wir uns gerade für die Wanderung zum Trnovačko-See vorbereiteten. Er meinte, wir sollen doch noch eben auf einen Kaffee bei ihm vorbeischauen. So folgten wir ihm zu seiner Hütte, wo wir einen schlafenden Mann im kühlen Innern bemerkten. Ein müder Wanderer, dem Radovan sein Bett angeboten hatte. Radovan bereitete den Gaskocher und das Kaffeekännchen vor (bosnischer Kaffee wird wie der türkische direkt in der Pfanne aufgekocht) und fragte nebenbei, ob wir einen Rakija möchten. Den brenne er selber, unten im Tal. Neben der Viehwirtschaft lebt er vom Verkauf von Schnaps und Honig. So gingen wir gestärkt auf die Wanderung, nachdem er uns zuvor das Versprechen abnahm, am nächsten Morgen wieder vorbeizuschauen.  

Radovan hat bereits wieder Gäste bei sich in der Hütte, als wir zum versprochenen Morgenkaffee erscheinen. Ein junges Paar aus Deutschland, das wie wir wandernd die Gegend erkundet. Da keine der Frauen Kaffee mag, bekommen die Beiden Sirup eingeschenkt. Für die Männer gibt’s frisch gebrühten Kaffee und natürlich Rakija – der übrigens kein Anisschnaps ist, wie gedacht, sondern ein Traubenbrand. Dem ersten Prost folgen noch fünf weitere.

Unser Gastgeber ist der Meinung, dass zu einem frühen Schnäpschen auch etwas Grundlage für den Magen gehört. So tischt er Brot, Käse, frische Milch und Rahm auf. Der Rahm hat die Konsistenz von Frischkäse und ist, auf Brot gestrichen, etwas vom Leckersten, das ich je gegessen habe.

Radovan spricht radebrechend Englisch und wir keinerlei Serbisch, trotzdem unterhalten wir uns glänzend. Er spricht von sich in der dritten Person und lässt jedem Satz ein: eh, eh oder ein: ja, jaja folgen. Darauf angesprochen, ob seine Frau und Familie unten im Tal leben, während er den Sommer mit den Kühen verbringe, meint er: Radovan no woman. Radovan crazy! und schlägt sich lachend an den Kopf. Wo wir beim Essen so zufrieden nebeneinander sitzen, tätschelt er meinen Bauch und meint: strong man. Ich sage: Wine and Beer. Als ich fragend auf sein Bäuchlein deute, antwortet er: Rakjia and Beer.

Die Berge hier sind stark bewaldet und voller Wild. Ob er hier zur Jagd gehe? Oh, no, no! sagt er, und bewegt augenzwinkernd den Mahnfinger. Er hatte voriges Jahr illegal ein Reh geschossen und gerade im Ofen brutzeln, als mit einem Mal der Wildhüter bei ihm auftauchte. Radovan versuchte, den Mann mit einem Gläschen Schnaps zu beschwichtigen, aber der Offizielle war unbestechlich. Dass es nur bei einer Verwarnung blieb, war wohl Radovans Charme geschuldet. Oder vielleicht, weil man in dieser ehemals kriegsgeplagten Gegend gelernt hat, miteinander auszukommen und tolerant zu sein.

Zum Abschied schenken wir ihm ein Foto, das uns vor seiner Hütte zeigt. Er freut sich, küsst uns auf die Backe und wünscht uns gute Reise und dass wir nächstes Jahr wiederkehren mögen.