Die Medien nehmen zurzeit kaum andere Themen auf, selbst die katastrophale Lage in Syrien und der Flüchtlinge verkommt zur Randnotiz. Für uns unterwegs war es wohl, wie für die meisten in Europa auch: am Anfang haben wir die Auswirkungen vom COVID 19 Virus unterschätzt. Wir waren weit weg von China und die Region um das Kaspische Meer gilt generell nicht als Touristen-Hot Spot, erst recht nicht seit der drohenden Eskalation zwischen dem Iran und den USA um die Jahreswende. Wir wähnten uns sicher, verfolgten die Ereignisse aber intensiv.
Als wir in Aserbaidschan einreisten wurden die Anzeichen deutlicher, dass Corona die ganze Welt betreffen würde. An den Grenzen trugen bereits alle Beamten Atemschutzmasken, wie im Reisebericht beschrieben, die Fähre nach Kasachstan wurde kurzfristig eingestellt und später die Einreise mit privatem Fahrzeug untersagt. Die erste konkrete Auswirkung hatte Corona für uns, dass wir anstatt direkt einreisen zu können, erst ein Transitvisum für Russland beantragen mussten, um dann die 950 Kilometer rund ums Kaspische Meer bis nach Kasachstan zurückzulegen. Bei der Einreise nach Russland wurde unsere Temperatur mit einer Wärmebildkamera gemessen, ansonsten lief alles wie gewohnt. Glücklicherweise hörten wir auf unser Bauchgefühl und erreichten bereits am vierten von sieben Visatagen die Ortschaft Astrachan, 75 Kilometer vor der Grenze. Wir checkten im Hotel ein, Tanja duschte und wusch die Kleidung, doch dann erfuhren wir via WhatsApp von anderen Reisenden, dass Kasachstan Gerüchten zufolge am nächsten Tag die Grenzen schliesse. Wir packten also wieder und standen kurz nach neunzehn Uhr vor dem Zoll. Die Ausreise erforderte die übliche Geduld, aber die drei Stunden für die Einreise waren anstrengend. So wurden wir von Schalter zu Schalter geschickt, mussten bei einem kleinen Containerraum einen Fragebogen ausfüllen, versichern, dass wir gesund sind, wieder zurück an einen anderen Schalter, bis wir schliesslich im Büro eines höheren Offiziers landeten, der die genauen Ein- und Ausreisetage jedes der bisher zehn bereisten Länder verlangte. Um überhaupt so weit zu kommen, mussten wir die Beamten erst auf den Unterschied zwischen Herkunftsland und Heimatland hinweisen. Inzwischen war es 23 Uhr und noch immer fehlte der Einreisestempel. Wir wurden von einem sehr netten, jungen Grenzpolizisten abermals an unterschiedliche Schalter begleitet und kurz vor Mitternacht endlich erlöst: wir durften einreisen.
Zwei Tage später erreichten wir Atyrau und mit der kasachischen SIM-Karte konnten wir uns über die neusten Massnahmen hier und in der Heimat informieren. Wir befürchteten bereits bei den ersten Absagen diverser Grossanlässe, dass viele Marktfahrer und Zulieferer existentiell bedroht sein würden. Mit der Schliessung aller Nichtlebensmittel-Läden und Restaurants wurde diese Bedrohung auch in unserem Umfeld konkret. Wir hofften einfach, dass die weitreichenden Massnahmen nicht vorwiegend auf Kosten von Kleinunternehmern und Angestellten gehen, und begrüssten die unbürokratischen Lösungsansätze des Bundesrates. Als erste Freunde berichteten, dass sie getestet wurden, sorgten wir uns aus der Ferne.
In Kasachstan wurden am 17. März ebenfalls Massnahmen aktiv, die die Schliessung gewisser Läden vorsahen. Ob wir am 18. einfach Glück hatten, dass wir sowohl eine Garage fanden als auch eine SIM-Karte kaufen konnten, wissen wir nicht, am 19. waren jedenfalls die meisten Geschäfte zu. Die Anspannung der letzten Tage ging nicht spurlos an uns vorbei und wir fanden, zwei Tage Aufenthalt in einem Apartment würden uns gut tun. Doch bei der Rezeption wurde uns deutlich gemacht, dass wir nicht willkommen sind.
Wenige Tage später wurden wir von der Polizei mit Blaulicht zu einer Tankstelle und von da aus der Stadt Bejneu heraus eskortiert. Ein Einkaufen im Supermarkt war nicht mehr möglich. Zum Glück gab es an der Tankstelle Wasser und etwas Seelennahrung (Schokolade / Chips) und unser Kühlschrank war noch immer gut gefüllt, so dass wir unsere Tour südwärts fortsetzten konnten. Wir hoffen, dass nur Bejneu als Knotenpunkt zur russischen und usbekischen Grenze betroffen ist, und andere Städte noch normal bereisbar sind.
Alle unsere Reisebekanntschaften wurden in irgendeiner Weise aufgehalten und wir wissen von einigen, die ihre Reise abgebrochen haben, massiv umplanen mussten oder gar nicht erst gestartet sind.
Für uns bedeutet die Situation, dass wir uns ins Bus-Leben zurückziehen, die Zweisamkeit suchen und uns vor allzu neugierigen Beamten verstecken. Hier im Südwesten Kasachstans ist das problemlos möglich und atemberaubende Landschaften laden zum Verweilen ein. Die gewonnene Zeit nutzen wir zum Schreiben, Lesen, Fotografieren, Russisch lernen und Diskutieren. Wir fragen uns, wie sich die Menschen in der Heimat die Zeit vertreiben? Nutzt ihr die Zeit, um etwas zu lernen? Oder könnt ihr ein Hobby intensivieren?
Trotz weitreichender Einschränkungen, erkennen wir auch positive Seiten eines weltweiten Shutdowns: Die Luftqualität hat sich in vielen Städten deutlich verbessert und in einigen Ländern schwimmen die Delfine wieder bis ans Ufer ran. Wir hören von grosser Solidarität zwischen den Menschen und einer breiten Bereitschaft, die unangenehmen Erlasse und Restriktionen umzusetzen.
Wir waren beide nie exzessive Konsumenten, gaben vergleichsweise wenig Geld für Luxusgüter aus, dafür mehr für regionale und biologische Lebensmittel. Vielleicht merken jetzt mehr Menschen, wie wenig es tatsächlich für ein gutes Leben braucht, und dass die gemeinsame Zeit mit der Familie unbezahlbar ist. Vielleicht kommen so einige aus dem finanziellen Hamsterrad raus, können etwas sparen und sich Träume verwirklichen, die vorher nicht erreichbar schienen. Vielleicht fällt es einigen jetzt einfacher, mal auf etwas zu verzichten, die Interessen der Natur in den Vordergrund zu stellen.
Noch haben wir keine Ahnung, wann und wie unsere Reise weiter geht, denn seit dem Tag nach unserer Einreise sind tatsächlich alle Grenzen für uns zu. Eine Heimreise kommt für uns momentan nicht in Frage. Abgesehen davon, dass wir wohl Mühe hätten, einen Flug zu finden, sind wir hier (noch) freier und mit unserem Budget kommen wir gut zurecht. Zudem scheint eine Verlängerung der visafreien Zeit von 30 Tagen möglich. Vermutlich werden wir also noch einige Wochen in diesem gigantisch grossen Land bleiben und hoffen, dass die Restriktionen Wirkung zeigen und die Welt bald wieder zum Courant normal findet – eben einfach ein bisschen langsamer und weniger zerstörerisch.