Aktau
Von den neun Wochen, die wir quarantänehalber in Aktau verbrachten, waren wir die ersten sechs diszipliniert an unseren zahlreichen Projekten dran. Während Michael seine Buchprojekte um 70 Seiten vorantrieb, malte Tanja über 30 Aquarellbilder. Doch dann kamen Überdruss und Faulheit und Netflix zog bei uns ein. Schliesslich aber auch die Aufhebung der Ausgangsbeschränkungen. Wir zelebrierten die neu gewonnene Freiheit mit eiskaltem Bier in einem der nun geöffneten Strandrestaurants. Was vorher trostlos und öde wirkte, begann zu pulsieren und zu leben, und wir erkannten, weshalb Aktau unter Kasachen eine beliebte Feriendestination ist.
Planänderung
Während die Verlängerung der Quarantäne jeweils unmissverständlich kommuniziert wurde, fanden wir keine zuverlässige Bestätigung, dass ein überregionales Reisen möglich ist. Wir fragten deshalb bei der Schweizer Konsulin nach. Ihre Antwort war ernüchternd, denn obwohl landesweit die Polizeikontrollen aufgehoben werden sollen, kann jede Region für sich entscheiden, ob sie dennoch an solchen festhält. Den entscheidenden Anstoss aber, unsere Pläne drastisch zu ändern, gab ihre Aussage, dass wir Kasachstan bis spätestens 10. Juli verlassen haben müssen – einige Regionen fordern dies bereits per Ende Juni. Eine Verlängerung unserer abgelaufenen Visa sei nicht möglich und es sei nicht abschätzbar, ob die Grenzen zu den Nachbarstaaten vorher öffnen. Die Infektionszahlen steigen in allen zentralasiatischen Ländern noch immer an. Das Risiko, das Land ohne Bus verlassen zu müssen, wollten wir auf keinen Fall eingehen, schliesslich hat Kasachstan den visafreien Zutritt bis 1. November gestrichen. Und der Gedanke, irgendwo bei über 40 Grad Hitze erneut zu stranden, fanden wir ebenso wenig attraktiv. Also beschlossen wir, die Reise zu unterbrechen und vorübergehend in die Schweiz zurückzukehren - wir per Flugzeug, der Bus via LKW-Transport. Die Vorfreude auf ein Wiedersehen mit Familien und Freunden war Balsam für unser blutendes Herz und wir verliessen Aktau mit Zuversicht.
Mangghustau / Sor Turzin
Um elf Uhr waren wir eigentlich zur Abfahrt bereit, hätten wir uns nicht aus dem Bus ausgeschlossen (wieder!). Wir dachten beide, der andere hätte die Schlüssel. Und natürlich waren beide Dreiecksfenster geschlossen und der Ersatzschlüssel bereits im Auto. Unsere Vermieterin half uns dann, einen Schlüsselservice aufzutreiben. Wenige Sekunden und 5'000 Tenge (ca. 11 Franken) später waren die Türen wieder geöffnet.
Wir erreichten den Salzsee Sor Turzin am Nachmittag gut gegart. Die Sonnenstore erst mal ausgefahren, definierte sie unseren Bewegungsradius. Oder besser gesagt, unseren Sitzradius. Erst nach Sonnenuntergang trauten wir uns, den rettenden Schatten zu verlassen und die Umgebung zu erkunden. Es war ein einsames Fleckchen Erde, einzig die Schnellstrasse am Horizont deutete eine Verbindung zur zivilisierten Welt an. Es gefiel uns so gut, dass wir zwei Nächte blieben. Am frühen Morgen erklommen wir den kleinen Hügel für die Aussicht auf die Ebene und sammelten Haifischzähne und Fossilien bei der weissen Sphinx - im Titelbild könnt ihr selber entscheiden, ob der Vergleich berechtigt ist.
1’200 Kilometer nordwärts
Um die erträglicheren Morgenstunden auszunützen, starteten wir den Tag um fünf Uhr. Das Thermometer zeigte dann bereits 26,5˚ an und kurz nach Sonnenaufgang wurden die 30˚ geknackt. Haben wir schon erwähnt, dass wir für die Motorkühlung unsere Heizung voll aufdrehen müssen? So gab unsere Bordanzeige am Nachmittag 45,5˚ Aussen- und 39,5˚ Innentemperatur an. Mit 80 – 90 km/h spulten wir die immer gleiche Landschaft ab, vorbei an wiederkäuenden Kamelen und grasenden Pferden, mitten durch Ziegenherden und leider nicht an allen Vögeln vorbei, die jeweils im letzten Moment davonflatterten. Wer die Weite und Einsamkeit sucht, wird in Kasachstan fündig.
An den Regionsgrenzen wurden wir von der Polizei kontrolliert. Wir stellten uns touristisch an, lächelten, zuckten mit den Schultern und winkten freundlich, bis die Polizisten es aufgaben, uns zu befragen. Die schriftliche Bestätigung unserer Botschaft, dass wir uns auf dem Heimweg befinden, mussten wir gar nicht erst vorzeigen.
Uralsk
Nach drei langen Fahrtagen erreichten wir Uralsk nahe der russischen Grenze. Über die Website krisha.kz fanden wir ein passendes Appartement in der Innenstadt. Erlan, der von der deutschen Transportfirma angegebene Kontakt in Uralsk, holte uns ab, um den Verlad unseres Autos zu besprechen. In der Firmenzentrale empfing uns der Direktor und Saida, die übersetzte. Es zeichnete sich bald ab, dass der Transport des Fahrzeuges kein Problem sein würde, der unserer persönlichen Sachen aber schon. Auf dem Zolldokument bei der Einreise wurde halt wie üblich nur das Auto deklariert. Der Herr Direktor schlug uns deshalb allen Ernstes vor, wir sollten doch einfach nach Europa zurück fahren. Es schien als hätte er unser Anliegen nicht ganz verstanden. Dann prüften sie den Versand unserer Habe, insgesamt rund 80 kg, via Kurierdienst DHL. Die veranschlagten 600'000 Tenge (ca. 1'400 Franken) sprachen ein deutliches Nein. Also blieb nur die aufwändige Zollabfertigung und Deklaration unserer Ware, wofür wir jeden einzelnen Gegenstand erfassen und wiegen mussten. Also räumten wir kurzerhand alles aus. Wenigstens war da der heftige Platzregen bereits vorbei und der Boden wieder trocken.
Als sich die Crew auch am dritten Tag noch immer vor der Zolldeklaration drückte und weiterhin nur von Problemen sprach, machten wir unserem Ärger Luft, wonach man plötzlich mit einer Lösung aufwartete: die Inventarliste werde einfach der notariell beglaubigten Vollmacht für den Chauffeur beigelegt. Gesagt, getan und nachdem unser Bus per Abschleppwagen mit Hebebühne in den Planen-LKW gehievt wurde, konnte dieser am späten Nachmittag endlich losfahren. Dass die russischen, weissrussischen und litauischen Zollbeamten den LKW passieren liessen, bestätigte die Richtigkeit unseres Vorgehens. In Wilna wird unser Syncro in einen kleineren Laster umgeladen werden, der ihn bis in die Schweiz transportiert. Zolltechnisch ist es nicht möglich, das Fahrzeug in einem anderen Land als der Schweiz entgegen zu nehmen, sonst wären wir ab Litauen gerne selbst gefahren.
Für uns heisst es nun abwarten, bis wir den wöchentlichen Flug nach Frankfurt nehmen und von dort aus den Zug nach Zürich besteigen können, um den Sommer / Herbst in der Schweiz zu verbringen. Es ist ein Unterbruch, kein Abbruch, und erste Ideen für eine neue Route – wieder Richtung Osten – sind am Entstehen. Die zentralasiatischen Länder waren unser erstes grosses Etappenziel. Mit der Vorderachse quasi auf der Ziellinie aufgeben zu müssen, schmerzt schon etwas. Doch tun uns vor allem diejenigen Reisebekanntschaften leid, die mit Zeitlimit unterwegs waren und deren Träume platzten. Wir haben den Luxus unbeschränkter Zeit und können die Grenzöffnungen gelassener abwarten. WANN wir wieder aufbrechen, ist ungewiss, DASS es weitergeht, ist sicher. In dem Sinne: Bis bald!